Dass der Austausch ein voller Erfolg würde, war eigentlich klar. Wir hatten zusammen mit den Schüler*innen ein überzeugendes Programm geplant. Von einem Grillabend bis hin zu einer gemeinsamen Fahrt nach Berlin war alles vorbereitet. Steckbriefe waren verschickt und die ersten Kontakte per WhatsApp geknüpft worden. Trotzdem warteten wir am Sonntagmorgen ziemlich gespannt auf die Ankunft des Reisebusses aus Olzstyn, mit dem unsere polnischen Gäste ankommen würden.
Eigentlich war die Ankunft für 7 Uhr geplant. Aber eine geänderte Route, der Verkehr und eine Panne führten dann doch zu einer Verspätung. Eigentlich kein Wunder, denn es ist ein langer Weg. Olsztyn, vor dem Krieg Allenstein, liegt im Nordosten Polens, etwa 100 km von der russischen Enklave Kaliningrad (früher Königsberg) entfernt.
Um 9 Uhr hält der Bus am Busbahnhof Blomberg. Zwei Stunden hinter dem Zeitplan. Unsere Gäste steigen aus, die Koffer werden ausgeladen. Nach weniger als fünf Minuten ist der Reisebus verschwunden.
Die elf polnischen Schüler*innen des Lyzeum IX Olsztyn und ihre Begleiterinnen Marta Dąbrowska und Justyna Paderewska sehen müde aus. Nach zwanzig Stunden im Bus kein Wunder. Nach einer kurzen aber herzlichen Begrüßung löst sich die Gruppe deshalb auch recht schnell auf. Es geht zu den Gastfamilien, in denen die SchülerInnen bis zum Mittwoch wohnen werden. Frau Franke – Eickmeier und ich begrüßen alte Bekannte. Frau Paderewska und Frau Dąbrowska leiten den Austausch zum zweiten bzw. zum vierten Mal.
Am Montag treffen alle ausgeruht in der Schule ein. Polnische und deutsche Schüler*innen sind kaum zu unterscheiden. Kleidung, Schuhe und Smartphone – eher europäisch als polnisch und deutsch. Außerdem sprechen viele der Gäste ziemlich gut Deutsch, dass sie in Polen schon seit drei Jahren lernen. Trotzdem wird auch manchmal englisch gesprochen. Ganz ohne den Zwang grammatikalischer Korrektheit – eben als Werkzeug zur Verständigung.
Bis Mittwoch stehen dann verschiedene Aktivitäten auf dem Plan. Schulbesuch, eine selbst erstellte, deutsch – polnische Stadtführung. Bowling, ein Grillabend bei Gasteltern und eine Betriebsbesichtigung bei der Blomberger Firma von Hagen Design, einem Weltmarktführer im Messebau. Wir sind uns einig, dass viele der gezeigten Messestände eigentlich viel zu schade sind, um sie nach kurzer Zeit wieder abzubauen.
Am Donnerstag sitzen wir im Zug nach Berlin. In nur drei Stunden in der deutschen Hauptstadt! Wichtigster Programmpunkt ist hier der Besuch des Bundestages. Mit Imbiss, einer Plenarsitzung und dem Besuch der beeindruckenden Glaskuppel des Reichstages. Dazwischen nimmt sich die Abgeordnete Frau Rode – Bosse (SPD) Zeit für uns. Sie hat den Besuch durch ihre Einladung erst möglich gemacht. Es kommt zu einer interessanten Diskussion über die Motivation von Jugendlichen zur politischer Aktivität. Von ihr erfahren wir auch, warum Abgeordnete auch während der Sitzungen häufig das Handy benutzen: Sie werden von ihren Mitarbeiter*innen ständig mit frischen Informationen versorgt. Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit in diesem Geschäft.
Freitagmorgen. Die Sonne scheint, es sind fast 20°C. Wir Lehrkräfte machen eine Bootsfahrt über die Spree. Berlin und seine Sehenswürdigkeiten mal aus anderer Perspektive. Die Schüler*innen haben sich abgesetzt. Am Alexanderplatz und Kudamm warten verschiedene Geschäfte. Schließlich ist bei Polen wie Deutschen noch Platz im Koffer!
Am Nachmittag wird es wieder ernst. Besuch im ehemaligen Stasigefängnis Hohenschönhausen. Bis zur Wende erste Anlaufstelle für Spione, Regimegegner und andere unliebsame Personen. Danach waren hier zeitweise hochrangige DDR – Repräsentanten inhaftiert.
Durch die bedrückende Szenerie führt uns ein ehemaliger Insasse. Er geriet als Westdeutscher in die Hände der Staatssicherheit und verbrachte dort 13 Monate Haft. Seine Geschichte, die er uns am Ende ausführlich erzählt, ist unglaublich und würde Stoff für einen Krimi bieten.
Samstag, 5.40 Uhr. Panik ist angesagt. Vier polnische Schüler*innen haben verschlafen. Und der Zug nach Olsztyn fährt um 6.37 Uhr. Es wird hektisch gepackt. Die Verabschiedung ist kurz. Aber wir wissen ja alle, dass wir uns in ein paar Wochen in Polen wiedersehen.
Unser Zug fährt erst gegen Mittag. Es bleibt Zeit, noch ein paar Souvenirs und Doughnuts für die Fahrt zu besorgen. Trotzdem werden wir schon gegen 15 Uhr zurück in Schieder sein.
Ich nutze die Zeit, um noch das Holocaust – Mahnmal zu besuchen. Auf der Rückfahrt erfahren wir bei Wolfsburg, dass die polnische Gruppe gut zu Hause angekommen ist.
von Stefan Thiel