Rolf Eickmeier: Herr Meierhenrich, erinnern sich noch an Ihre Blomberger Schulzeit?
Prof. Meierhenrich: Ja schon, ich erinnere mich zum Beispiel an den Kurs in Sozialwissenschaften bei Herrn Stief, der mich sehr beeinflusst hat. Die Fragestellungen und Methoden dort sind sehr wichtig gewesen, aber auch in anderen Fächern, in denen die kritische Herangehensweise an Probleme und die kritische Auseinandersetzung verlangt wurde. Es ging nicht nur um Wissensvermittlung. Auch an Religion bei Frau Uepping kann ich mich erinnern und an die Beschäftigung mit neuen Medien bei Ihnen und Herrn Friedrich. Letzteres hat mich bei meiner ersten Studienstation in Passau dazu gebracht, ein Volontariat zu beginnen. Ich hatte dazu damals schon einige Vorkenntnisse, zum Beispiel auch in der Technik.
RE: Seit sechs Jahren forschen und unterrichten Sie an der Harvard-Universität. Wie verlief Ihr Berufsweg bisher?
Prof. Meierhenrich: Ich habe nach dem Abitur in Passau begonnen, Jura und Politikwissenschaft zu studieren, bin aber schon nach zwei Jahren zu einem Studienaufenthalt nach Südafrika aufgebrochen und habe dort nach dem Ende des Apartheid-Regimes die Arbeit der "Wahrheitskommissionen" beobachtet.
1996 bin ich nach Oxford gewechselt, war dort drei Jahre tätig und habe dort promoviert. Abgeschlossen habe ich die Arbeiten schon von New York aus, dort hatte ich eine Forschungsstelle an der Columbia-Universität.
Mitte 2000 habe ich eine Forschungsstelle an der Harvard-Universität bekommen und bin dort seit dem 1. Juli 2005 Assistenzprofessor.
Zwischendurch war ich in Ruanda tätig und auch am Internationalen Gerichtshof in Den Haag bei den Untersuchungen der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien.
RE: Sie haben heute morgen den Zehntklässlern empfohlen, nicht nur die scheinbar sicheren Pfade zu gehen, sondern immer risikobereit zu sein.
Prof. Meierhenrich: Ja, Risikobereitschaft möchte ich jedem jungen Menschen empfehlen. Ich habe das damals an Kommilitonen gesehen. All die, die den vermeintlich sicheren Weg gehen wollten, entwickelten sich nicht besonders erfolgreich oder waren nicht begeistert von dem, was sie tun mussten. Dann kann man keine gute Arbeit leisten. Es kommt auch nicht so sehr auf Noten an, sondern eher darauf, dass man das tut, wofür man sich wirklich interessiert.
RE: In welchen Projekten arbeiten Sie zur Zeit?
Prof. Meierhenrich: Ich arbeite und forsche zu Fragen von Menschenrechtsverletzungen – aus vergleichender und interdisziplinärer Perspektive – Jura, Politikwissenschaft oder Anthropologie einbeziehend. Ich habe gearbeitet in und über Südafrika, Ruanda oder Argentinien. Ich untersuche in unterschiedlichen Gesellschaften die Herangehensweise an das Unrecht. Ich beschreibe, wie die juristische Aufarbeitung stattfindet, wie sie sich entwickelt und wie sich diese Verfahren unterscheiden.
In einem zweiten großen Themenkomplex beschreibe ich die Ursachen von Menschenrechtsverletzungen, ihre Folgen und die Pfade, auf denen sie stattfinden. Eine weitere Fragestellung bezieht sich auf die Verantwortlichkeit einzelner, ihre Täterschaft als einzelne, vor allem auch als Mitglied einer Gruppe. Kann man einzelne dann auch zur Verantwortung ziehen? Das hat zum Beispiel eine Rolle gespielt bei den Untersuchungen zu den Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien.
Zwei Bücher sind darüber bereits fertiggestellt und nun arbeite ich an einer Trilogie zu diesen Fragen.
RE: Sie haben Anfragen von Fernsehsendern, ihre Fragen und Erkenntnisse darzustellen und zu vermitteln.
Prof. Meierhenrich: Ja, ich habe eine Anfrage der BBC – aber die Verhandlungen sind im Anfangsstadium – , die einen dreiteiligen Film anlässlich des Jahrestages der Nürnberger Prozesse produziert haben. Möglicherweise soll ich diese Spielhandlung dem amerikanischen Publikum erklärend präsentieren.
Es gibt eine weitere Anfrage des National Geographic Channels mit der Möglichkeit der Konzipierung und Moderierung einer eigenen Sendung. Deshalb hatte ich mich mit der Frage nach der Videotechnik an Sie hier in der Schule gewandt, weil es so schien, als müsse ich hier in Deutschland dazu erste Probeaufnahmen machen.
Geplant war auch eine Expertenanhörung vor dem Verteidigungsausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses in dem laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Festlegung von Rechten der Terrorismusverdächtigen. Die Republikaner haben diesen Termin zunächst verhindert, aber vielleicht wird dies im September nachgeholt.
Da ich mich in einem Forschungssemester befinde, gehe ich im Oktober für vier Monate nach Tokio, um dort die Aufarbeitung japanischer Kriegsverbrechen zu beobachten.
RE: Herr Meierhenrich, könnten Sie sich eine gelegentliche Zusammenarbeit mit Geschichtskursen oder SoWi-Kursen unserer Schule vorstellen?
Prof. Meierhenrich: Ich habe ja einiges über die Möglichkeiten der Arbeit auf Ihrer Schulhomepage erfahren. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich auf einer Unterrichtsplattform eines Oberstufenkurses mitarbeite. Wenn Themen aufgeworfen werden, in denen ich mich auskenne, bin ich gern dazu bereit. Interessant könnten am Ende eines solchen Diskussionsprozesses auch Videokonferenzen mit den Schülergruppen sein oder zumindest der gleichzeitige Meinungsaustausch auf Ihrer Unterrichtsplattform. Ich stelle mir das sehr interessant vor.
Wenn einzelne Schülerinnen oder Schüler Fragen zu meinen Themen oder meinen beruflichen Erfahrungen haben, bin ich gern bereit, die über E-Mail zu beantworten.
RE: Herr Meierhenrich, vielen Dank für das Gespräch.