Die Medien-AG des HVG hatte die Idee zu einem Interview mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, ehemaliger Schüler unserer Schule. Trotz des Wahlkampfstresses fand Frank-Walter Steinmeier Zeit, ein sehr persönliches Interview zu geben. „Wer für eine Idee brennt, der will sie auch durchsetzen.“ Das ist eine prägende Erfahrung aus seiner Jugendzeit in Südostlippe. Aufgewachsen ist Frank-Walter Steinmeier in Brakelsiek.
Herr Steinmeier, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kinder- und Jugendzeit in Lippe?
Ich weiß, dass sich im Rückblick manches verklärt. Aber es war eine Kindheit mit viel Freiheit. Dabei denke ich an die langen Nachmittage im Steinbruch am Waldrand. Das war die Bühne für unzählige Wildwestabenteuer. Winnetou ist hier wohl einige dutzend Male gestorben. Vor allem aber der Sportplatz nahebei. Fußball war wichtig. Für den TuS 08 habe ich viele Jahre gespielt. Ich erinnere mich an bittere Niederlagen, aber noch lieber an Feiern nach großen Erfolgen.
In der Grundschule in Brakelsiek saßen wir noch mit zwei Klassen in einem Raum. Mit 10 Jahren war ich dann Fahrschüler zum Gymnasium Blomberg. Müller-Görne hieß der gemütliche Direktor, als wir mit über 40 Kindern in die Sexta (5. Klasse) kamen. Klassenprimus war ich nie, aber durchgekommen bin ich immer. Wenn ich heute zurückdenke, liegt mir der Geruch der Penne noch in der Nase.
Verlassen habe ich meine lippische Heimat schon mit 18. Seitdem habe ich dreieinhalb Jahrzehnte in Hessen und Niedersachsen, Bonn und Berlin zugebracht. Dennoch: Ich komme immer wieder gern zurück.
Es heißt, ein Besuch Willy Brandts im Blomberger Gymnasium habe für Sie den Anstoß gegeben, sich politisch zu engagieren.
Das war im April 1972. Willy Brandt war in Blomberg nicht persönlich zu Besuch, aber trotzdem waren alle Augen auf ihn gerichtet. Es war der Tag, an dem die CDU/CSU Willy Brandt im Bundestag durch ein konstruktives Misstrauensvotum als Kanzler stürzen wollte. Die Lehrer ließen den Unterricht ausfallen und riefen uns in der Aula zusammen. Jemand rollte ein Fernsehgerät hinein. Ein alter Kasten, der Bildschirm flimmerte. Aber die Anspannung war zum Greifen, nicht nur unter den älteren Schülern, mehr noch unter den Lehrern. Wir verfolgten mit angehaltenem Atem die Abstimmung. Dann das Ergebnis: Brandt konnte Kanzler bleiben. Ein großes Aufatmen. Ich habe es noch so lebhaft in Erinnerung, als wäre es heute geschehen.
Wir fühlten uns mit Willy Brandt als Sieger in einem entscheidenden Ringen um die Zukunft des Landes. Wir Jugendlichen identifizierten uns auch deshalb mit Brandt, weil wir instinktiv spürten, dass da jemand wegen seiner aufrechten demokratischen Haltung und wegen seines außergewöhnlichen Lebensweges im Widerstand gegen die NS-Diktatur ausgegrenzt werden sollte. Wir verspürten Sympathie mit jemandem, der die junge Generation zum Mitmachen einlud für das große Ziel, „mehr Demokratie zu wagen“.
Der erste Anstoß, die erste Erfahrung, dass man sich einmischen muss, wenn man die Dinge verändern will, kam noch etwas früher. Es ging um den Streit um ein Jugendzentrum in unserer Gemeinde. Solche Orte gab es damals noch gar nicht. Wir setzten uns schließlich durch. Den Jugendtreff gibt es heute noch. Im Rückblick ist das keine große Sache. Aus damaliger Sicht war es für uns ein kleiner Sieg. Zum ersten Mal wurde uns bewusst: Man kann immer etwas bewegen.
Was sagen Sie den heutigen Jugendlichen, die von Politik nichts wissen wollen?
Ich halte da keine Vorträge. Lieber höre ich zu, was junge Leute selbst zu sagen haben. Als Außenminister erlebe ich, wie in vielen Ländern junge Leute auf die Straße gehen, um für mehr Demokratie zu kämpfen. Für Gehör, Gerechtigkeit und gleiches Wahlrecht für alle.
Wir müssen uns bewusst sein, dass Demokratie niemals eine Selbstverständlichkeit ist. Sie kommt nicht von allein. Jede Generation muss sie neu verteidigen und mit Leben erfüllen. Das sehen wir in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Wir brauchen mutiges Engagement, um Ausländerfeindlichkeit und Menschenhass in die Schranken zu weisen.
Den Jugendlichen, die jetzt zum ersten Mal wählen können, sage ich: Lasst nicht andere über das entscheiden, was Euer Leben betrifft. Entscheidet selbst mit, ob Bildung gebührenfrei wird, ob Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen, ob wir bei Atomausstieg, Klimaschutz und Friedenspolitik vorn sind.
Wie kommt es, dass die SPD in der Wählergunst hinter CDU/CSU liegt?
Wahltag ist Ende September. Dann geht’s nicht um Umfragen und Stimmungen, sondern um Stimmen. Ich bin dieser Tage in ganz Deutschland unterwegs. Es ist zu spüren: Da geht noch viel! Das ist wie im Sport: Es kommt nicht drauf an, wer zuerst losläuft, sondern wer zuerst ankommt!
Können Sie als Außenminister dazu beitragen, dass die Kluft zwischen armen und reichen Ländern gerade angesichts der Weltfinanzkrise nicht noch größer wird?
Das ist so, und das ist ein schönes Gefühl nach vielen 16-Stunden-Tagen. Ein Beispiel: Ich habe in vielen Gesprächen dafür geworben, dass die reichen Industriestaaten die zentralen Fragen nicht mehr allein entscheiden, sondern andere mit ins Boot holen. Nur so kann ein gemeinsames globales Verantwortungsbewusstsein wachsen. Und so ist es jetzt geschehen: aus der G8-Gruppe ist eine G20 geworden. Jetzt sitzen auch China, Indien, Brasilien, Südafrika und andere Länder mit am Konferenztisch und reden mit, wenn es über den Welthandel, den Klimaschutz und die Energiesicherheit geht.
Gerade über Krieg und Frieden darf kein Land, und sei es noch so mächtig, einfach allein entscheiden. Allerdings sind die Spielräume eines Bundeskanzlers manchmal noch größer als die eines Außenministers. Ich glaube, es ist ganz natürlich: Wer eine Idee hat, wie es besser werden kann, und wem diese Idee auf den Nägeln brennt, der will sie auch durchsetzen. Deshalb will ich Bundeskanzler werden.
Könnten Sie sich vorstellen, nach der Bundestagswahl Ihre ehemalige Schule in Blomberg zu einer Podiumsdiskussion mit Oberstufenschülerinnen und -schülern zu besuchen?
Ja, das wäre eine schöne Sache. Wenn die Schüler mit mir diskutieren wollen, komme ich gern. Die eine oder andere Geschichte aus meiner Blomberger Zeit hätte ich da sicher auch noch im Gepäck.
Frank-Walter Steinmeier im Interview für den Internet-Auftritt des Gymnasiums Blomberg zum Schulbeginn am 17. August
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier besuchte von 1966 bis 1974 das Gymnasium in Blomberg. Mehr über seine Herkunft, seinen Weg und seine politischen Überzeugungen auf www.frankwaltersteinmeier.de.
Im Frühjahr 2009 ist außerdem sein Buch „Mein Deutschland. Wofür ich stehe“ erschienen. Darin beschreibt er im ersten Kapitel unter dem Titel „Ein Kind der Bundesrepublik“ ausführlich, welche Erfahrung und Begegnungen ihn geprägt haben und was ihn heute motiviert.
Der derzeitige Vizekanzler scheint im Interview durchaus aufgeschlossen zu sein.
Mich interessiert ob Herr Steinmeier nach der Bundestagswahl, unabhängig von Niederlage oder Sieg, tatsächlich unsere Schule besuchen würde.
Das wäre dann nämlich eine ausgesprochen herzliche Geste gegenüber den jetzigen Schülern des Blomberger Hermann-Vöchting-Gymnasiums. Mit Sicherheit wäre eine vertraute Diskussionsrunde mit Herrn Steinmeier nicht nur für Oberstufenschüler interessant. Auf einen Besuch würde ich mich besonders auch wegen meinem persönlichen politischen Interesse, freuen.
Ich finde, das ist auch eine sehr tolle Sache, einen ehemaligen Schüler der vielleicht sogar Bundeskanzler wird, an unserer Schule zu einer Diskussinsrunde teilhaben zulassen. Ich persönlich wäre aber auch dafür diese Diskussion nicht nur für Oberstufenschüler sondern für ein allgemeines Interesse auszulegen. Meiner Meinung nach finde ich es toll so eine Diskussion mit Herrn Steinmeier zu planen aber auch in die Tat umzusetzen.Ich würde auch gerne, aus eigenem politischen Interesse an dieser Diskussin teilnehmen.