Dieser Brief aus dem Feldpostarchiv Berlin ist ein Beispiel dafür, dass Kameraden unter sich trotz der schrecklichen Ereignisse den Sinn für Humor nicht verloren haben.10.7.43
Liebe Magda u. Bert!
Seit mir nicht böse ob meines so langen Schweigens, dass im Grunde genommen gar keines ist denn in Gedanken war ich immer bei Euch. Ihr meint wohl jetzt das kann jeder sagen und mit so faulen Ausreden brauch ich erst gar nicht zu kommen. Aber ihr wisst als Soldat hat man wenig Zeit und das werde ich Euch sofort beweisen. 5 30 h Wecken, waschen, Bettenbau Stube reinigen, Früstück.
6 30 h Antreten zum Dienst
11 30 h Mittagessen
13 h Befehlsausgabe
13 15 h antreten zum Dienst
17 h Flick u. Putzstunde
18 h Abendessen
19 h Gewehr reinigen
20 h Gewehrappel
21 h einen Brief an meine Frau
21 45 h Verdunkeln
22 h Bettruhe
Von 22 h bis 5 30 Fliegeralarm nach freier Wahl der Tommys.
Ihr seht Tag und Nacht sind mit Idealen Einlagen ausgefüllt. Trotzdem geht es mit ganz gut und die Schleiferei hat bei mir jetzt in einen Knetkursus geendet wo man mir nach 16 jähriger Ausübung meines Berufes unbedingt „Kochen“ lernen will. Aber sonst bin ich ein strammer Soldat geworden. Ich kann Stillstehen, Schnabel halten, laut Scheiße brüllen, den inneren Schweinehund auf ein minimum reduzieren und wie ein geölter Blitz über den Kasernenhof sausen. Nebenbei habe ich mir angewöhnt keine silbernen Löffel zu stehlen und keine Frauen zu vergewaltigen, dass ist unsoldatisch.
Ich wohne mit 12 Kameraden auf einer Stube und bin wohl der jüngste von allen. Alles Opfer des totalen Krieges. Darunter befinden sich, ein Doktor der Chemie, ein Mittelschulleiter, ein Dipl. Ing. ein Hufschmied, ein Musiker, Landwirte u. Handwerker. Am Abend wenn alles rund um den Tisch sitzt und der Mittelschullehrer etwas zum besten gibt, lässt der Hufschmied dazwischen, vor Begeisterung, „einen fliegen“. Der Chemiker murmelt dann halblaut eine chemische Formel und schwört das da Schwefel drin war. Der Musiker sagt je nach der Tonlage B Dur oder C Dur, der Ing. berechnet die Streuung und der Hufschmied meint selbst: „Der stinkt ja als wenn a‘ von an Ross kumma war“. Ich dagegen bin immer wieder der Meinung dass da wieder ein Stück des inneren Schweinehundes den Weg nach aussen gefunden hat. – Sonst verstehen wir uns aber alle durcheinander sehr gut denn wir kämpfen ja alle um ein Ziel, den Urlaub. Aber der Feind hat sich bis Dato noch als stärker bewiesen, bin neugierig wem als erster der Durchbruch gelingt.
Bremen gefällt mit sehr gut und es wäre noch viel schöner wenn der Tommy nicht fliegen könnte. Köln ist in der letzten Zeit auch so furchtbar zugerichtet worden. Es ist ganz schrecklich wenn man das alles so sieht. Ich glaube an der Front ist es nicht so hart als in einer dieser Städte. Von Mutz hörte ich das Du ihr zwei Bilder sandtest wofür ich mich auch noch herzl. bedanke. Hoffe dass es Euch der allg. Lage angepasst erträglich geht und wünsche uns einen baldigen Frieden.
Viele herzl. Grüsse und Küsse
Euer Willi