Ende Juni 1983 kaufte ich am Bahnhof in Schieder ein Interrailticket für 410.- DM. Mit dem Ticket konnte man damals 29 Länder in vier Wochen bereisen. Das Interrailticket galt nur vier Wochen. In Deutschland mußte man die Hälfte des Fahrpreises zubezahlen, im Ausland nur die Zuschläge. Ein Eilzug in Spanien, für den man Zuschläge berappen mußte, fuhr allerdings höchstens 60 km/h.
Zum Ende meiner Schulzeit 1977 hatten wir, mein Schulfreund Josef und ich, einen großen Traum. Wir hatten es in diesem Land satt und wollten in ferne Länder auswandern. Unser Plan war, eine Lehre zu machen und dann auszuwandern.
Josef ist in Montreal – Canada geboren, er wollte wieder dort hin. Seine Eltern hatten dort gelebt und sind dann in ihr Heimatland Deutschland zurückgekehrt.
Ich hatte vor nach Australien zu gehen, da ich mir dort eine bessere Zukunft versprach. Die Grenzen waren dort offen, zu der Zeit. Einwanderer bekamen einen Arbeitsplatz, eine Wohnung und einen zweimonatigen Sprachkurs.
Josef absolvierte 1977 in der neunten Klasse ein Praktikum als Koch in Nessenberg, wo er auch nach der Schule eine Lehrstelle bekam. Ich bekam ein Praktikum als Bäcker in Eschenbruch und später eine Lehrstelle als Bäcker in Schieder. Hätte aber lieber eine Lehrstelle als Konditor angenommen, die gab es nicht. Habe dann allerdings die Lehre abgebrochen und ein Berufsvorbereitungsjahr angetreten. Danach eine Ausbildung als Werkzeugmacher bei einer großen Firma in Blomberg absolviert. Die Lehrstelle bei der Firma hatte ich durch meinen Vater bekommen, er hatte dort schon Jahrzehnte gearbeitet. Es ist zwar ein ganz schön großer Sprung vom Bäcker zum Werkzeugmacher, aber ich habe die Ausbildung mit „gut“ abgeschlossen.
Josef ging nach Canada und ich? Die australischen Grenzen waren Anfang 1982 zu. Es war nun schon das Jahr 1983, ich hatte nun vor, illegal nach Australien zu gehen, illegal einzuwandern.
Als ich im Juni 1983 das Interrailticket gekauft hatte, gingen meine Gedanken hin und her, soll ich oder soll ich nicht? Mit dem Flugzeug, nein, das konnte ich nicht bezahlen. Also mit dem Zug, dem Interrailticket.
Ich hatte alles vorbereitet, eine ganze Ausrüstung zusammengestellt. Ein Gestellrucksack mit 14 kg Gesamtgewicht, Zelt, Kocher, Geschirr, Kompass, Landkarten, Wäsche usw. Die Heringe vom Zelt hatte ich aus Winkelaluleisten hergestellt. Zum Schlafen hatte ich einen leichten Armeschlafsack und eine Alumatte. Bekleidet war ich auf der ganzen Reise meist mit einem T-Shirt und einer Jeanshose. Das Geld hatte ich die ganze Zeit über am Hosengürtel in kleinen Geldtaschen in meiner Unterhose. Einen Fotoaparat hatte ich auch, leider stellte ich nach der Reise fest, dass er kaputt war und alle Filme schwarz. Ich habe mir dann von Bekannten, die ich auf meiner Reise kennengelernt hatte, Bilder schicken lassen. Die Fotos waren allerdings nicht die Tollsten.
Es war eigentlich eine wilde Aktion, diese Reise, die eine illegale Auswanderung beinhalten sollte. Auf den ersten Blick schier unmöglich, durch halb Europa, quer durch die Sahara bis Kapstadt, dann auf ein Frachtschiff nach Australien.
Es ist dann nur eine kleine abenteuerliche Weltreise geworden, bin glücklicherweise in Marrakesch, in der Sahara umgekehrt. Die Weiterreise durchzuziehen wäre lebensgefährlich gewesen. Zu der Zeit führten die Berber und die Franzosen Krieg in der Sahara.
Jens Große-Brauckmann