Nicky Brügge-Muckert
Heute Mittag um 14.11 Uhr: Strahlend blauer Himmel, ich sitze am Computer im Büro …. da kommt das Erdbeben …
Ein grässliches Rollen aus der Erde höre ich als erstes und im gleichen Moment schon fangen die Lampen an zu zittern. Unsere Karaffe mit der Limonade steht ganz eng mit den Gläsern zusammen, und das Klirren hört sich an, als ob hundert Gläser geschüttelt werden.
Ich springe vom Stuhl auf, spüre bereits die ersten Erdbewegungen und renne in Richtung Patio, der ganz frei liegt. Auf dem Weg dorthin folgen harte Erdstöße in senkrechter Bewegung.
Es ist wie auf einem stramm eingestellten Trampolin, welches schnell rauf und runter geht, aber nicht abfedert. Die Erde ruckt, und ich kann mich nirgends festhalten. Die Erdstöße kommen härter, und der Körper scheint abheben zu wollen, doch ich stehe noch. An ein Weitergehen ist nicht zu denken, wie paralysiert stehe ich da und sehe auch die anderen, die wie Personen in einem Film in der Berwegung plötzlich angehalten werden.
Lucha wirft noch die Suppe hin, schreit und weint, klammert sich an Rodolfo, der am Tisch sitzt und gerade die Gabel zum Mund führt. das Bild werde ich nicht vergessen: Alle Personen werden gestoppt in ihrer Bewegung.
Sharo hat einen anderen Supenteller in der Hand und weiß nicht, wohin damit … und Rodolfo sagt: Stelle ihn hier auf den Tisch und – isst selenruhig weiter….
Unsere Arbeiter rasen los ins Freie, laufend, das eine oder andere Bein bleibt für das Auge in der Luft hängen….
Das Epizentrum ist in Nueva Union/Acari, wo Sharo herkonmmt. Ziemlich in unserer Nähe. Ich denke garnichts, außer …. an die Kinder, die Unterricht in der Albergue haben. Und – renne los.
Auch Sharo hat sich bereits in Bewegung gesetzt und läuft aus dem Tor. Da sehe ich bereits schreiende und weinende Mütter mit ihren Kindern auf dem Arm auf der Straße: Pachamama, Mama Nicky, hilf uns! Sie sind verzweifelt: Mein Mann ist in der (infomellen) Mine; Du weißt doch, wie gefährlich das ist …
Ein paar tröstende Worte, eine schnelle, herzliche Umarmung und weiter, weiter, schnell weiter zu unseren eigenen Kindern. Es sind nur wenige Meter zum anderen Haus, doch heute kommt mir das ewig vor.
Der Wächter empfängt mich schon: Senorita, es ist alles in Ordnung. Die Kinder stehen in Reihen im Garten. Unter Anleitung unserer Lehrerin sind sie – ganz diszipliniert – in den Garten gelaufen und stehen dort wie angewurzelt, als wir in die Albergue kommen. Nancy sitzt im hinteren Patio und umarmt alle Kleinen der Kindergartengruppe, die sich gerade in diesem Moment dort befanden.
Niemand weint, niemand schreit, alle sind sehr ruhig.
Unsere „externen“ Kinder werden alle nach Hause entlassen. So schnell habe ich sie noch nie laufen sehen.
Glücklicherweise befinden sich über dem Gartenstück keine elektrischen Leitungen, es ist alles frei. Ich will im andern Haus Bescheid geben: die Telefonleitungen sind alle unterbrochen.
So langsam kommt wieder Bewegung in alle, etwas zu tun. Wir stehen aber noch alle unter Schock. Unser deutscher Freund Günter erlebt zum ersten Mal ein „richtiges“ Erdbeben. Ihm schlottern wahrhaftig die Knie.
Wir wollen uns gerade etwas hinsetzen, da kommt mit einem ziemlich üblen Geräusch aus der Erde das erste Nachbeben. Wir springen auf und sausen hinaus ins Freie, doch es ist nicht ganz so schlimm wie vorher, aber verdammt unangenehm. Wir werden wohl die Nacht alle mit offenen Türen schlafen. Die Stimmung ist ganz merkwürdig.